Eugène Gigout – Zum 100. Todestag
Am 9. Dezember 2025 jährt sich der Todestag von Eugène Gigout zum hundertsten Mal. Ein willkommener Anlass, sich mit dem Schaffen dieses französischen Komponisten und Organisten auseinanderzusetzen. Gigout, der zu Lebzeiten als herausragender Improvisator und Komponist gefeiert wurde, hinterließ ein umfangreiches Werk, das insbesondere für den liturgischen Gebrauch von großer Bedeutung ist.
Ein Leben für die Orgel
Eugène Gigout wurde am 23. März 1844 in Nancy geboren und zeigte früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Bereits mit 13 Jahren trat er in das École Niedermeyer de Paris ein, eine Schule, die sich besonders der Kirchenmusik widmete. Dort erhielt er eine fundierte Ausbildung in Orgelspiel, Komposition und Gregorianik. Zu seinen Lehrern zählte Camille Saint-Saëns, der ihn besonders in der Improvisationskunst förderte.
Nach Abschluss seines Studiums wurde Gigout 1863 zum Organisten an der Pariser Kirche Saint-Augustin ernannt – ein Amt, das er unglaubliche 62 Jahre bis zu seinem Tod innehatte. Neben seiner Arbeit als Organist etablierte er sich als angesehener Lehrer und trat 1911 die Nachfolge von Alexandre Guilmant als Professor für Orgel am Pariser Konservatorium an. Viele bedeutende Organisten der nachfolgenden Generation zählten zu seinen Schülern.
Brücke zwischen Tradition und Romantik
Gigouts Kompositionen zeichnen sich durch eine enge Verbindung zur liturgischen Praxis aus, was sie bis heute interessant macht. Seine Werke verbinden die strenge Polyphonie der klassischen Orgelschule mit den expressiven Klangfarben der französischen Romantik. Besonders bekannt sind seine „10 Pièces pour orgue“, eine Sammlung von Stücken unterschiedlicher Charakteristik. Das wohl populärste Werk daraus ist das „Grand Choeur Dialogué“, das durch seine mitreißenden Wechsel zwischen Manualen und Pedal beeindruckt. Es ist auch für nebenberufliche Organisten zugänglich und eignet sich hervorragend als festliches Schlussstück eines Gottesdienstes.
Ein weiteres bemerkenswertes Werk ist die „Toccata in h-Moll“ aus den 10 Pièces pour orgue von 1890, die mit virtuoser Spielfreude und kraftvoller Harmonik zu den bedeutenden Toccaten der französischen Orgelromantik gezählt werden kann. Daneben komponierte Gigout zahlreiche Präludien, Fugen und Offertorien, die für den praktischen liturgischen Gebrauch konzipiert wurden. Seine harmonische Sprache bleibt dabei stets klar und wirkungsvoll, was seine Musik für den sonntäglichen Einsatz besonders attraktiv macht.
Sehr interessant und lohnenswert sind auch die unzähligen Stücke für Orgel oder Harmonium, die also ohne Pedal auskommen. Oft basieren sie auf einer kirchentonal angereicherten Klanglichkeit, sind kurz und man findet für praktisch jede liturgische Situation ein passendes Stück. Manchmal bietet es sich auch an, zwei oder drei der tonartlich zusammengefassten Stücke hintereinander zu spielen. Die einzelnen Sätze sind teilweise nur 16 oder 18 Takte kurz, aber Gigout schafft es, wunderbar konzise und charaktervolle Kleinode zu komponieren, die eine kompositorische Idee konsequent ausformulieren. Im „Scherzando“, Nr. 30 aus den „Cent Pièces brèves dans la tonalité du Plein Chant“, sind es die Terzparallelen, aus denen Gigout in allen möglichen Konstellationen Funken schlägt. Und in Nr. 24 („Cantabile non troppo moderato“) sind es die jeweils zwei Takte langen Melodiephrasen, die sich gegen die schubertartige Begleitung in nachschlagenden Triolen absetzten. Gerade in dieser Begrenzung entstehen so Miniaturen, die wie in einem Kaleidoskop vor Spieler und Hörer einen Mikrokosmos an Motiven entfalten.
Tipp: Alle 100 Stücke aus den „Cent Pièces brèves dans la tonalité du Plein Chant“ sind schön, in den ersten beiden Teilen (Modes 1 und 2 bzw. Mode 3 und 4) besonders Nr. 4, 7, 9, 12, 13, 17, 24 und 30.
Für die heutige Praxis
Gigouts Musik ist vielfältig einsetzbar – von festlichen Anlässen bis hin zu meditativen Momenten im Gottesdienst. Dabei kommen sie mit verhältnismäßig moderatem technischem Anspruch aus, was sie gerade für die Praxis besonders wertvoll macht. Außerdem ist man weniger als bei Widor oder Vierne auf eine symphonisch-französische Orgel vom Typus Cavaillé-Coll angewiesen. Man kann Gigouts Stücke ganz gut auch auf einer kleinen und eher barock orientierten Orgel spielen.
Gigout war ein Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne. Seine Musik vereint Klarheit und emotionale Tiefe ohne je ins Seichte abzudriften. Darüber freuen sich Zuhörer auch noch im Jahr 2025.
KMD Reiner Schulte